Maegie Koreen ist eine profunde Kennerin und Interpretin der Chansonkultur. Sie singt und erzählt uns die Geschichten der Menschen, die besondere Werke der Kleinkunst geschaffen und kreiert haben. Ihre "RuhrChansonnale" mit Gastkünstlern aus europäischen Partnerstädten, wurde zu einer Referenz ihres Genres innerhalb der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010.
www.ruhr-chansonnale.de
Mit der Konzertreihe "Chanson-Café Europa - zwischen Heimat und Exil" hat Maegie Koreen ein Erinnerungsprojekt gegen das Vergessen der Chansonkunst im Widerstand und im Exil initiiert. Erschreckende Wissenslücken tun sich heute auf, wenn nach den Werken der Künstlerinnen und Künstler gefragt wird, die während des NS-Regimes in die Emigration oder in Lager gezwungen und umgebracht worden sind.
Die CD zum Programm ist eine Hommage an die Komponisten, Dichter, Chanteusen und Chansonniers Euro-pas, die das deutsche Chanson unter dem Einfluss von Verfolgung und Exil geprägt haben. Denn nur wenn die Chansons der Verfolgten auch aufge-führt und gesungen werden, können wir die Verpflichtung der Erinnerung über unsere Gesten hinaus wirklich erfüllen.
Zum Beginn der 1930er Jahre hatten sich die "Goldenen Zwanziger" grußlos verabschiedet. Sie dauerten eigentlich nicht länger als vier, fünf Jahre - dann war die Weltwirtschaftskrise da. Die Zeitungen meldeten über drei Millionen Arbeitslose. Bei den Wahlen im September 1930 war die NSDAP zweitstärkste Partei geworden. Die Republik stand vor dem Bankrott. Während es wirtschaftlich bergab ging, erblühte in neuen Kleinkunstbühnen ein Publikumsinteresse an Programmen, die den Zeitgeist literarisch und politisch erfassten.
Eine neusachliche Nüchternheit und die Agitprop-Kultur traten den champagnerseligen Schlagerträumen der vom Großkapital kontrollierten Unterhaltungsindustrie entgegen. Eine neue, junge, sich gegen die rückwärtsgewandte gesellschaftliche Norm stellende Künstlerschar begab sich in Kabarettkollektiven ("Die Brücke", "Die Wespen") und auf eigenen Kleinbühnen ("Küka", "Katakombe") in Berlin und Wien ("Lieber Augustin") auf die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Dabei besannen sie sich bewusst auf die Literatur, ja auf die Lyrik, die ja schon an der Wiege des Kabaretts Pate gestanden hatte.
Dieser liberale Geist der fortschrittlichen Künstler war für die Nazis eine unliebsame Konkurenz. Nach der Machtergreifung setzten sie ihre Drohungen schnell in Taten um und verwirklichten die längst schon geplanten Vertreibungen, Internierungen und Morde. Diese Zerstörung der deutschen Kleinkunstkultur konnte bis heute nicht überwunden werden.
Die Schauspieler, Musiker, Sänger und Autoren, die dem Machtbereich der Nazis entkommen konnten, setzten ihre Arbeit unter den schwierigen Bedingungen des Exils fort. In fünzig Ländern fanden sie Asyl und in rund zwanzig dieser Länder spielten und sangen sie ihre musikalisch-literarischen Programme in Cafés, Kellerbars und kleinen Theatern. Das Kabarett und das Chanson brauchen nur einen geringfügigen äußeren Aufwand um die Notwendigkeiten der Brett'l-Kunst herzustellen. So hat sich auch das deutschsprachige Chanson unfreiwillig über die Welt verteilt.
Nobert Glanzberg (1910-2001) Komponist, Dirigent. Als die Nazis an die Macht kamen, war die Karriere des Konservatoriumsabsolventen und angehenden Kapellmeisters in Deutschland beendet.Im Exil musste er im „Cafe Delta” am Fuße des Montmartre als Kaffeehaus-Pianist für ein Mittagessen spielen.
Edith Piaf (1915-1963) Chanteuse. Glanzberg begegnete der Piaf zum ersten Mal, als er 1936 mit einer Kapelle in einem „Bals Musettes” zum Tanz aufspielte. Nach einer Gesangseinlage sammelte sie ihr Trinkgeld ein. Er ahnte in jener Nacht nicht, dass sein Leben einmal von ihr abhängig sein sollte.
Es weht ein frischer Wind
(M : Trad., T: Werner Fink)
Ankündigung einer Chansonette
(M : Martin Breebaart, T: Erich Kästner)
Die zersägte Dame
(M : u. T: Friedrich Hollaender)
Chanson vom Geldverdienen
(M : Heinz Greul, T: Karl Schnog, Bearbeitung: M. Koreen)
Herzbrüderlein Popo
(M : Gerhard Bronner, T: Peter Hammerschlag)
Lied der Donaukanalschiffer
(M : Gerhard Bronner, T: Peter Hammerschlag)
Wer läutet draußen an der Tür
(M : Bettina Hirschberg, T: Theodor Kramer)
Mein Vater wird gesucht
(M : Gerda Kohlmey, T: Hans Drach)
Ein Pferd klagt an
(M : Hanns Eisler, T: Bertolt Brecht)
Niggun (Melodie)
(Traditionell / Folksong / Y.L. Cahan) Manuskript M. Koreen
Höchste Eisenbahn
(M : u. T: Friedrich Hollaender, Bearbeitung: Heinz Greul)
Lüneburger Heide und Simmeringer Haad
(M : Gerhard Bronner, T: Peter Hammerschlag)
Der Tierfreund an der Arbeit
(M : Gerhard Bronner, T: Peter Hammerschlag)
Abrüstung
(M : Volksweise - Bearb. M. Koreen, T: Peter Hammerschlag)
Das Menschliche
(Gedicht: Robert Gilbert)
Lied des einfachen Menschen
(M : Kurt Manschinger,T: Jura Soyfer)
Die kleinen Hotels
(M : Konrad Dähn, T: Walter Mehring)
Ich hab kein Heimatland
(M : u. T: Friedrich Schwarz)
Hier ist England - England spricht zu den Frauen Silvestergrüße 31.12.1941
(Text: Bruno Adler)
Die Lorelei
(M : Allan Gray, T: Egon Larsen)
Die Ballade von der Unzulänglichkeit
(M : u. T: Curt Bry)
Der Song von den Träumern
(M : u. T: Luis Fürnberg)
Ein ganzes Leben
(M : Robert T. Odemann / T: Joachim Ringelnatz)
Die ganze Welt ist nichts als Bühne
(M : Gerhard Bronner, T: Ephraim Kishon)
Maegie Koreen ist eine profunde Kennerin und Interpretin der Chansonkultur. Sie singt und erzählt uns die Geschichten der Menschen, die besondere Werke der Kleinkunst geschaffen und kreiert haben. Ihre "RuhrChansonnale" mit Gastkünstlern aus europäischen Partnerstädten, wurde zu einer Referenz ihres Genres innerhalb der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010. www.ruhr-chansonnale.de
Niclas Floer, in Marl lebender Pianist, Komponist und Arrangeur, ist neben dem Jazz, Pop und Chanson auch in der Klassik zu Hause. Er gibt mit seinen ausgefeilten Pianoarrangements interaktive Impulse zum solistischen Geschehen. Auftritte im In- und Ausland formten sein pianistisches Können, das er auch den Kompositionen verfolgter und vergessener Autoren widmet.
Urheberangaben:
Vocal: Maegie Koreen, Piano Yamaha P250: Niclas Floer
Recording: Tobias Bartzsch, FIRSTLine audio Tonstudio Herne, November 2011
Produktionsregie, Booklettext und Foto Label: Manfred Weiss, Artwork: Maegie Koreen
Fotos: Titel: D. Grundmann, Inlay: G. Kaemper, Label: M. Weiss, Innen S. 1: W. Wehlau, Innen S. 7: D. Grundmann, Niclas Floer privat
© Eine Maegie Koreen Produktion, Germany 2012 - CWB 20122 - LC 04315 - www.chanson-cafe.de
Anmerkung Rechtsnachweis: Trotz intensiver Recherche konnte für einige Autoren und Texter der Verbleib der Urheberrechte nicht geklärt werden.
1. Ein ganzes Leben (2.51)
(M : Robert T. Odemann / T: Joachim Ringelnatz)
Diogenes Zürich / VG WORT / GEMA / Günther Odemann-Nörig) Als reisender Artist trug Ringelnatz seine Verse vorwiegend selbst vor und wurde zum Klassiker des deutschen Humors. "Ein ganzes Leben " erschien 1933 in seinem Gedichtband "Gedichte,Gedichte". Im gleichen Jahr erhielt er Auftrittsverbot. Seine Bücher wurden beschlagnahmt und am 1. Mai 1933 in die Flammen geworfen. Völlig mittellos geworden starb er 1934. Robert T. Odemann hat diese fabelhafte Parabel über das Leben zum Eröffnungsprogramm des Hamburger "Neuen Theaters" (3.9.1935, heute Ohnsorg-Theater) für Hela Gerber vertont. Nach einer Vorstellung, in der Odemann ein Spottgedicht über Adolf Hitler vortrug, wurde das Kabarett polizeilich geschlossen. Am 29.11.1937 wurde Odemann nach dem von den Nazis verschärften Paragrafen 175 verhaftet, verurteilt und bis 1940 in verschiedenen Gefängnissen eingesperrt.
2. Die zersägte Dame (3.29)
(M : u. T: Friedrich Hollaender) Dreiklang-Dreimasken-Verlag)
Annemarie Hase war im Dezember 1931 der Star im "Tingel-Tangel-Theater" von Friedrich Hollaender. Er schrieb ihr eine witzige Hauptrolle in der Revue "Allez-Hopp!" aus dem Zirkusmilieu. Sie bezeichnete sich selbst als "leidenschaftliches Mädchen". Schon als Kind galt sie als aufgeweckt und komisch und als Backfisch lief sie schon gerne gegen den Stachel. Als die Furien der Demagogie losbrachen, hielt sie ihnen als Gegenentwurf die Kunst des literarischen Chansons entgegen. Der vernichtende Judenhass speiste sich ja nicht zuletzt aus dem Neid auf diese humanistische Konkurrenz.
3. Lied der Donaukanalschiffer (4.33)
(M : Gerhard Bronner, T: Peter Hammerschlag) Verlag Paul Zsolnay Wien / VG Wort / GEMA)
Annemarie Hase trat auch in der "Katakombe" bei Werner Fink auf. An einem Abend im Januar 1931 saß eine junge Revuesubrette aus Wien im Publikum. Sie hieß Stella Kadmon und suchte ebenfalls nach einer künstlerischen Überwindung der abgehaspelten Darbietungsfolgen in den rationell organisierten Vergnügungsetablissements. Nach Wien zurückgekehrt gründete sie am 7.11.1931 im Sutterain des Cafe "Prückl" das Kabarett "Zum lieben Augustin". Hausdichter wurde Peter Hammerschlag. Das Cafe Prückl liegt am Stubenring. Hinunter zum Donaukanal steht das Zentralamt der Postsparkasse und direkt am Kanal die Sternwarte "Urania". Diese räumliche Anordnung hat Hammerschlag mit der Sehnsucht der Österreicher nach einem Seehafen verbunden und dieses Lied für Stella geschrieben. Die letzte Vorstellung des "Lieben Augustin" fand am 9. März 1938 statt. Wenige Tage später marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Stella und Peter flohen zuerst nach Jugoslawien. Hammerschlag kehrte aus Heimweh nach Wien zurück, wurde verhaftet und in ein Lager gebracht, wo er elendig umkam.
4. Ankündigung einer Chansonette (2.29)
(M : Martin Breebaart, T: Erich Kästner) Copyright: Thomas Kästner, VG Wort /GEMA/ Arche-Atrium Zürich)
Erich Kästner widmete dieses Chanson Annemarie Hase während ihrer gemeinsamen Auftritte im "KüKa" in Berlin (Künstler-Kaffee in der Budapester Straße 1920 - 1930). Es zeigt nicht nur welche Wertschätzung Kästner der Hase entgegenbrachte, sondern es ist gleichzeitig eine Skizze ihrer Künstlerpersönlichkeit, ihrer Rolle, ihrer Haltung, ihrer Mittel und ihrer Wirkung. Die Hase trug dieses Chanson auch in der Katakombe vor.
5. Chanson vom Geldverdienen (2.48)
(M : Heinz Greul, T: Karl Schnog, Bearbeitung: M. Koreen) Manuskript GEMA Werknr. 2193208001)
Karl Schnog (1897 - 1964) wirkte als Conferencier, Vortragskünstler und Kabarettautor in Berlin. Er trug auch eigene Chansons im KüKa (wo er seinen Durchbruch hatte) und im Januar 1931 beim wandernden Arbeiterkabarett "Die Wespen" vor. Seine Profession waren gelungene Zeitgedichte. Die Wespen wollten kein Stehkragenpublikum, Leute ohne Kragen waren ihnen lieber gewesen. Vor seinem Arbeiterpublikum rührte Schnog ohne Respekt in dem Phrasenbrei aus Profitstreben und Hurrapatriotismus. 1932 hatten sich weitere prominente Künstler wie Erich Weinert, Resi Langer und Annemarie Hase den Wespen angeschlossen. 1933 emigrierte Schnog in die Schweiz, wo er für das "Cabaret Cornichon" Texte schrieb. Weiter auf der Flucht, verhafteten ihn die Deutschen 1940 in Luxemburg. Er wurde nacheinander in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald gebracht.
6. Ein Pferd klagt an (2.41)
(M : Hanns Eisler, T: Bertolt Brecht) Surkamp Verlag /VG Wort /GEMA)
"Es war einmal" hieß die aller letzte Revue im "Tingel-Tangel-Kabarett", die am zweiten Weihnachtstag 1932 ihre Erstaufführung hatte. Zusammengestellt wurde sie von Hanns Eisler, Ernst Toller, Walter Hasenclever und Erich Kästner. Die ursprüngliche Fassung dieses Liedes für Klavier und Gesang ist von Kate Kühl überliefert worden. Hollaender schloss sein Kabarett Anfang Januar 1933 - eine Woche nach der Premiere. Nazischergen hatten seine Wohnung demoliert. In der Nacht zum 27. Februar 1933 brannte der deutsche Reichstag. Hollaender floh mit seiner Frau Hedi Schop nach Paris.
7. Niggun (Melodie) (2.26)
(Traditionell / Folksong / Y.L. Cahan) Manuskript M. Koreen, Copyright 2010)
Niggun, die hebräische Melodie mit dem Texteinwurf von " Der Rebbe hat gehaissen frailich sain" wurde nachweisbar am 18. März 1935 bei einem Purim-Abend der Zionistischen Vereinigung gesungen. Die Künstler dieser Veranstaltung des "Jüdischen Kulturbundes" waren Annemarie Hase, Dora Gerson, der Sänger Edgar Alexander und die Tänzerin Else Dublon. Das "Losfest" Purim Anfang März ist vordergründig ein dem Karneval vergleichbares Freudenfest. Im April 1935 nahm die Chansonniere Dora Gerson das chassidische Niggun für die Schallplatte auf. Dora Gerson emigrierte in die Niederlande. 1943 versuchte sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern illegal von Frankreich aus in die Schweiz zu gelangen. Vor dem Grenzübertritt gefasst, wurden sie in das Lager Drancy gebracht, von dort nach Auschwitz, wo die ganze Familie vergast wurde.
8. Wer läutet draußen an der Tür (1.50)
(M : Bettina Hirschberg, T: Theodor Kramer) Carl Hanser Verlag VG Wort / GEMA)
Kramer (1897 - 1958) war der Dichter der armen Leute in Österreich. Seine Gedichte erschienen auch in den meisten deutschen Tageszeitungen, - bevor auch seine Bücher in die Flammen geworfen wurden. Sein Lyrikband "Mit der Ziehharmonika" erschien 1936 nur noch in Österreich. Nach der Besetzung des Landes durch die Deutschen konnte Kramer, der jüdischer Herkunft war, nach England entkommen. Seine Mutter wurde in Theresienstadt ermordet.
9. Mein Vater wird gesucht (1.55)
(M : Gerda Kohlmey, T: Hans Drach)
Der Text dieses Liedes wurde im deutschen Kolchos-Theater in Moskau geschrieben und an die in Prag lebende Emigrantin Gerda Kohlmey zur Vertonung geschickt. In der Prager Ausgabe der "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" (AIZ) vom 22. August 1935 ist das Lied unter dem Titel "Deutsche Arbeiterkinder singen" abgedruckt worden. Es ist von deutschen Emigranten in Prag, in Moskau und England gesungen und in Liederbüchern veröffentlicht worden.
10. Höchste Eisenbahn (3.06)
(M : u. T: Friedrich Hollaender, Bearbeitung: Heinz Greul)
Harmonie Verlag,Warner Chappel, Dreiklang-Dreimasken Verlag) Die Revue mit dem beziehungsreichen Titel "Höchste Eisenbahn!" (1932), war die letzte die Hollaender vor seiner Emigration textete, komponierte und inszenierte. Die kleine Bühne hatte sich in einen Wartesaal verwandelt. Man atmete Bahnhofsatmosphäre und sang vom Zug der Zeit, der in Richtung Nazidonien unterwegs war. Der Erfolg der Revue provozierte das Hetzblatt "Völkischer Beobachter" zur offenen Drohgebärde: "Zu spät, Herr Hollaender! Hier haben Sie den falschen Fahrplan erwischt!" Abkommandierte Störtrupps der SA stürmten die Bühne und spuckten Friedrich Hollaeder an.
11. Die kleinen Hotels (2.37)
(M : Konrad Dähn, T: Walter Mehring) Claassen Düsseldorf)
Seit 1933 lebte der deutsche Schriftsteller Walter Mehring (1896 - 1981) im Exil. Am Vorabend des Reichstags-brandes entkam Mehring in letzter Minute seiner Verhaftung durch die Nazis. Dieses Gedicht ist ein Jahr später entstanden. Gewarnt worden war er von einem Freund, der im auswärtigen Amt arbeitete. Der erschien bei der Mutter des Schriftstellers, die später in Auschwitz vergast wurde. Das Exil wurde sein Schicksal. Seit jener Zeit hat er nur noch in Hotels gelebt - mit zwei oder drei Koffern als einziger Habe. So erlebte ihn der Journalist Jürgen Serke: "Im Zimmer 505 im obersten Stock des Zürcher Hotels Opera-Blick auf einen Hinterhof, ist er am 29. April 1976 achtzig geworden. Vier Schritte hin, vier Schritte zurück. Ein Domizil, sechszehn Quadratmeter groß. Darin ein Bett, ein Nachttisch, ein Schrank, ein Stuhl, ein Brett als Schreibboard". Am 3. Oktober 1981 stirbt er in einem Zürcher Pflegeheim.
12. Ich hab kein Heimatland
(1.50) (M : u. T: Friedrich Schwarz)
Stella Kadmon gelangte 1939 nach einer Odyssee voller Angststationen endlich nach Palästina. Annemarie Hase floh 1936 ins Exil nach England. Emigration ist eine Form der Entwurzelung und die Zahl derer, die in England um Asyl ersuchten, stieg im Dezember 1938 auf über siebzigtausend. Leben bedeutete für sie nur noch überleben.
13. Die Lorelei (3.07)
(M : Allan Gray, T: Egon Larsen)
Doch Annemarie Hase gab sich als Mensch und Künstlerin nicht auf. Die notwendige Überlebenshilfe fand sie ab 1938 als Schauspielerin und Chansonsängerin im Exil-Kabarett die "Kleine Bühne", das von ihr mit gegründet worden war. Hier konnten sie gegen die Geißel der Verfolgung singen. Der Dichter Heinrich Heine wurde schon 1835 in Deutschland auf einer Verbotsliste geächtet. Im Nazireich wurde seine "Lorelei" zwar in den Lesebüchern noch als Volkslied gedruckt, doch darunter stand: "Verfasser unbekannt". Diese gespenstische Tatsache wurde von Annemarie Hase 1940 in der Kleinen Bühne in einem Chanson thematisiert. Der Komponist Allan Gray studierte in den zwanziger Jahren bei Arnold Schönberg Kompositionslehre. Er schuf für das Kabarett, für Revuen und für den Film (Flieger grüß mir die Sonne). 1933 emigrierte er nach Paris, später nach London, wo er wieder als Komponist arbeitete. Egon Larsen war seit 1925 freier Journalist. Er emigrierte 1935 nach Paris, dann nach Prag und 1938 nach London, wo er für den Deutschlanddienst der BBC und für das Exil-Kabarett schrieb.
14. Die Ballade von der Unzulänglichkeit (3.50)
(M : u. T: Curt Bry) Sea Breeze Music Hawaii, USA , / Henriette Stolper, Los Angeles)
Curt Bry (1902 - 1974) war Hauskomponist im "Ping Pong" und in der Katakombe bevor er in die Emigration getrieben wurde. "Wenn der Jude Bry noch morgen am Flügel sitzt, könnt ihr ihn euch im Krankenhaus abholen", drohten die Nazis. Er floh 1935 ins Exil nach Wien. Im Kabarett "Regenbogen" lernte er seine spätere Frau Lili Lohrer kennen, für die er viele Chansons schrieb. 1936 wurde er bei Stella Kadmon Hauskomponist. 1938 floh er nach Italien, von dort nach Holland und am 11.November 1939 verließ er Europa auf einem Schiff in Richtung New York. Stella Kadmon veranstaltete in Tel Aviv in einem bekannten Caféhaus mit der von ihr gegründeten kleinen Bühne "Papillon" literarische Abende. Berühmt wurden auch ihre Chansonabende (1943) bei Vollmond auf der Dachterasse ihres Wohnhauses. Der Zauber dieser Aufführungen ist in der Erinnerung vieler Exilanten als einzigartig beschrieben worden.
15. Der Song von den Träumern (2.43)
(M : u. T: Luis Fürnberg) Breitkopf u. Härtel, Leipzig)
Luis Fürnberg (1909 - 1957), dichtender Kaufmannssohn und Jungsozialist, bezeichnete sich selbst ende der zwanziger Jahre als Bänkelsänger. Von 1932 bis 1936 trat er mit der von ihm gegründeten kleinen literarischen Wanderbühne "Echo von links" in Prag und Böhmen auf. 1939 wurde er verhaftet und kam ins Gefängnis. Nach der Freilassung emigrierte er über Italien, Jugoslawien, Griechenland und die Türkei nach Palästina. Dort arbeitete er von 1941 bis 1946 literarisch und politisch. Als Sänger gestaltete er auch hinreißende Solo-Abende.
16. Die ganze Welt ist nichts als Bühne (3.55)
(M : Gerhard Bronner, T: Ephraim Kishon) Copyright Gerhard Bronner, 1972, aus: "Es war die Nachtigall" Musical nach dem Stück: "Es war die Lerche" 1989)
Gerhard Bronner (1922 - 2007) ist im Wiener Arbeiterbezirk "Favoriten" geboren worden. 1938 emigrierte er zuerst nach Brünn, schlug sich von da nach England und dann bis nach Palästina durch. In Palästina war er dann Plantagenarbeiter, Straßensänger und Barpianist in Nachtlokalen und schließlich Mitarbeiter der BBC in Palästina. 1948 kehrte er nach Wien zurück und trug seine Chansons mit eigener Klavierbegleitung ab 1955 in der von ihm gegründeten "Marietta-Bar" vor. Ephraim Kishon (1924 - 2005) studierte Kunstgeschichte in Budapest. Während des zweiten Weltkrieges war er in ungarischen, deutschen und russischen Arbeitslagern interniert. 1949 wanderte er nach Israel aus. Seit 1952 publizierte er politisch-satirische Glossen unter dem Titel "Chad Gadja" (Das Lämmchen). Zusätzlich leitete er eine eigene Kleinkunstbühne, die "Grüne Zwiebel" in Tel Aviv. Ab 1979 hat Gerhard Bronner Kishons Werke ins Deutsche übersetzt.