Nachtrag zum Buch Claire Waldoff zum 50. Todestag (1884-1957) Nachtrag Text zum Buch zu Mühlenstraße 8 / Bokermühlstraße zu: Freidenker zu: kaufte zwei Häuser an der Kreuzung Mühlen- und Querstraße zu: ihr großes Vorbild, die berühmte Schauspielerin Agnes Sorma Agnes Sorma, Gräfin Minotto, Kurfürstendamm 196. Schauspielerin. Die Berühmteste und die Beliebteste. Seit Jahren mehr auf Gastspielreisen als in Berlin, wo sie nur zweitweise im Neuen Theater auftritt. Jüdin von Toledo. Rautendelein. Minna von Barnhelm. Nachtrag 1906-1918 zu: Figaro-Theater, Paul Scheerbart Am 15.02.1907 wurden vom Kabarett-Theater “Figaro” im Haus der Berliner Secession folgende Stücke von Scheerbart aufgeführt: “Das dumme Luder” (tadellose Aufführung) Die gleichen Aufführungen fanden auch am 11. April 1907 statt. Scheerbart scheint die “Schauspielerin” Claire Waldoff geschätzt zu haben, da er auf ihre Mitwirkung in seinen Theaterstücken Wert legte. Gewiss gefiel sie ihm auch als Typ, liebte er doch, wie Margarete Bruns berichtet, “natürliche” Frauen. Inzwischen (13. Februar 1908) war das Figaro-Theater eingegangen und alle Schauspieler ohne Engagement. Am 12. März 1908 schreib Scheerbart an Herwarth Walden: zu: Roland von Berlin Die gestrige Aufführung des Nachtasyl von Maxim Gorki (Uraufführung 1902 in Moskau), welche zum Besten der durch die russischen Unruhen geschädigten jüdischen Familien stattfand (1903 Judenprogrome in Russland, 1905 erste russische Revolution) war recht gut besucht. Die Darstellung ragte nur vereinzelt über Durchschnittsleistungen hinaus, zeugte aber von guter Einstudierung. => Hugo Stern gab den Schauspieler hervorragend gut wieder. => Eine brillante Darbietung war auch diejenige von Claire Waldoff als Katja. Die jugendfrische sympathische Künstlerin wusste in ihre an und für sich wenig bedeutende Rolle viel hinein zu legen und erntete sogar Beifall auf offener Bühne => M.R. zu: Roland von Berlin zu: Chat Noir - Linden Cabaret 1904 - Paul Schneider - Duncker Die Zeit hat Schneider-Drucker nach Hamburg verschlagen, wo er hauptsächlich beim Rundfunk arbeitet. Aber plötzlich hielt er es nicht aus! Er ist nach Berlin gekommen, weil er unbedingt eine neue Möglichkeit finden möchte, wieder ein eigenes, volkstümliches Kabarett zu gründen. zu: 1911 zu: 1912 zu: 1913 Hermann heeßt er ...Aber dann: Klea Waldoff. Was Deutschland an der besitzt wußten wir. Aber diesmal hat ihr Ludwig Mendelssohn ein Lied gedichtet und unter Musik gesetzt - das schein das Letzte zu sein. Buttrig, quäkend und tugendsam singt sie erst eine Menge Dinge von ihrem Liebsten, ob und wie und wo - und auf einmal... brüllt ihr Stimme andante: “Hermann heeest a...” Und noch einmal, leiser: “Hermann - heeest a...” Und verhallend: “Hermann - heest - a...”... Und dieses Piano ist so ulkig angelernt, so wenig adäquat der Brüllstimme, daß man fassungslos ist. Wie ringt sie sich dieses Piano, jenen Sopran ab? Ein Sopran, der so hoch ist, daß sie gleich kippeln wird, g, gis, a, b... Gottseidank, gerettet! Sie singet, wie der Berliner Spatz singt, unbekümmert, frech - und dann (Stimme von innen verhallend): “Hermann heeest a...” Nachtrag 1919-1922 zu: 1921: Ich brauch nen Mann zu: 1922: 1924-1926 Westfalenland In renommierten Münchener Künstlerlokal “Simplicissimus” trat er wochenlang neben dem berühmten Kollegen Joachim Ringelnatz auf. “Viele seiner Pointen flogen ihm zu, wenn er auf der Bühne stand, und wir, seine Mitspieler, wussten nie, womit er uns wieder überraschen würde”, erinnerte sich seine Frau und Bühnenpartnerin Irmgard. “Im Hamburger Bronzekeller war das Podium so winzig”, so Lora Braun, ebenfalls eine Mitstreiterin in Endrikats Bühnenensemble “Die Arche - Das Kabarett der tödlichen Langeweile”, “dass wir zu viert kaum Platz darauf hatten, aber Freds Texte lebten und zündeten so, dass keiner die Enge und den dicken Qualm, in dem er stundenlang saß, bemerkte.” Spätestens ab 1933 zeigte sich, dass Endrikat alles andere als ein politischer Künstler war. Er machte weiter sein Programm, entzog sich aber nicht dem langsamen Zugriff des Nationalsozialismus. Am 1. Mai 1937 wurde er - vermutlich um seine berufliche Existenz zu sichern - Mitglied der NSDAP. Am 12. August 1942 stirbt Fred Endrikat im Alter von 52 Jahren an einem zu spät entdecken Gehirntumor. Quelle: Ralf Piorr in “Stadtmagazin Herne”, Ausgabe Nr.1 Febr. 05 Nachtrag 1927-1929 1928 zieht Vormann nach Berlin. In dieser vitalen und künstlerisch reichen Stadt lernt Vormann Claire Waldoff kennen. Die beiden kamen gut miteinander aus, zumal sie doch aus fast der gleichen Heimat (Westfalen) stammten. Vormann schrieb verschiedene Lieder für sie, unter anderen: “Aber Ede! Aber Ede! Bin ick denn’ne Frau wie jede?” In dieser Situation half ihm Claire Waldoff mit ihren Beziehungen. So stand sie in gutem Kontakt zu Max Slevogt. Sie berichtete Slevogt von der Absicht Vormanns, an die Berliner Kunstakademie zu gehen, lobte seine guten Arbeiten und bat ihn, sich diese doch mal anzusehen. Tons Vormann wurde Max Slevogts (1868-1932) letzter Meisterschüler. Nachtrag 1929-1933 zu: 1932 “Gelsenkirchens berühmteste Tochter” 1932/33 1932 1933/34 So behauptet es jedenfalls die Berliner Gruppe des “Kampfbundes für Deutsche Kultur” in einem Schreiben vom 10. April 1933 an das Regina-Theater in Dresden. Weiter behauptet der Kampfbund in diesem Schreiben, dass “die Künstlerin jedoch versicherte, den Charakter der Roten Hilfe nicht gekannt zu haben, sondern sich lediglich in den Dienst der Wohltätigkeit gestellt zu haben”. Von Seiten des Kampfbundes, der sich als die “vom Führer der nationalsozialistischen Bewegung allein bevollmächtigten Kulturorganisation” rühmt, beständen nunmehr gegen ihr Auftreten in Dresden “keine Bedenken”. Nachtrag 1933-1945 1935 im Wintergarten “Ein doppelter Erfolg war das”, erzählte Lene Ludwig auf die Zeit in der Mitte der dreißiger Jahre bezogen. “Erst trat Claire auf mit ihren Liedern, und dann kam ich mit der Maske. Das Publikum hat gestürmt und geklatscht”. 1936 London, Zeitschrift “Varity” 1937/38 Künstler des Reichs-Rundfunks vor 1939: Ihr gefiel es und sie kam immer wieder, wenn sie in Hamburg war. .... das Brettl mit Prominenz teilen und bald war auch die Claire im Programm des florierenden Bronzekellers, der die großen Häuser überflügelte. Sie durfte sich als Mutter des Gedankens fühlen, und dies war wohl nicht das einzige Mütterliche an ihr. Hatte sie eben noch auf dem Podium gewaltig aufgedreht, so kam sie nun still und lieb an den Stammtisch und war uns Anfängern nun eine Kollegin von feinstem Sachverstand und viel Herz und Takt: Trotz Finck und Krüger und Marc Mikiti - der Geist des Hauses war nur richtig, die Atmosphäre stimmte nur, wenn Claire Waldoff da war oder ihr Freund Fred Endrikat. 22.08.1938 Und dann die Claire Waldoff! Wie oft war ich (Hans Rose, der älteste der drei Rose-Brüder) in einer unserer Operetten oder Singspiele ihr Partner! Sie war eine sehr disziplinierte fleißige Schauspielerin. Einmal spielte ich mit ihr in Kollos “Drei alte Schachteln”, in der sie eine ihrer Glanzrollen hatte, die sie in Berlin berühmt gemacht hat. Ich spielte den Cornelius, einen ungetreuen Liebhaber, den sie in einem Tanzlokal mit einer anderen ertappte, und dem sie dann eine kräftige Ohrfeige verpassen mußte. Auf den Proben schlug sie sehr zaghaft zu, aber das war nichts für unser Publikum, eine Ohrfeige mußte ordentlich knallen. Sie wurde also mehrmals ermahnt, richtig zuzuschlagen, und schließlich hat sie ausgeholt und mir eine gefeuert daß ich es drei Tage gefühlt habe. Es tat ihr dann sehr leid, aber es mußte ja sein. Januar 1939 Foto: Willi Schaeffers und Claire Waldoff in der Revue “Es geht nicht ohne Liebe” im Kadeko, Berlin 1939 Quelle Kühn “Die Zehnte Muse” “Der Knalleffekt darin ist Claire Waldoff, die Pointe Lene Ludwig. Wenn ihr vielumflüstertes “Hermann heeßt er” himmelwärts klirrt, wenn sie den Refrain “Da wackelt die Wand” hinter gepreßten Zähnen zu einem einzigen kurzen Berliner Ur- und Grunzlaut zusammenzieht, scheint so viel vulgäre Grazie schlechthin unnachahmlich. Zum Schluß feiert sie ihre mimischen Triumphe im Hexensessel jenes zwechfellerschütternden “Ich-auch” Rundgesanges, dessen Echo im letzten Wunschkonzert beinahe die Gehäuse unserer Radioapparate zersprengt hätte”. 1940 Herbert Eulenberg 1941/42 1941 1942 Die Crême de la Crême des deutschen geistigen Lebens, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Wissenschaftler, gaben sich in Frankreich, vorzugsweise aber in Paris ein Stelldichein. Es musste aber eine offizielle Funktion, eine Einladung vorliegen. Die gab es von vielen Institutionen, mit vielerlei kulturellen Aktivitäten: Die deutsche Botschaft, die deutschen Konsulate in der Provinz, die Propagandastaffeln der Wehrmacht, die Deutschen Institute. Alle waren mit immensem Eifer bei der Sache, veranstalteten und luden ein zu Theater, Konzert und Tanz, zu Dichterlesungen, Ausstellungen, wisschenschaftlichen Vorträgen und politischen Referaten. So gab es auch Gastspiele prominenter deutscher Bühnen und Orchester. 1945-1950 zu: München lernt wieder Lachen Ihr Getreuer zu: Nachts, wann gute Geister schweifen „Und nun bin ich seit 4 Jahren krank, ich hab’s am Herzen, hab alles verloren in Berlin, wie so viele andere in den furchtbaren Bombennächten und lebe seitdem nun fern von Berlin, fern vom Kohlenpott, fern von Gelsenkirchen, der Stadt der tausend “Feuer”, in Bayerisch-Gmein an der österreichischen Grenze und bin nicht reisefähig, die Stätte meiner Kindheit aufzusuchen.” Von fern grüße ich die liebe Heimat innig und herzlich Immer Eure Claire Waldoff. 1951 1950 1954 1950 1955 22. Juli ca. 1953 Bild Zeitung Damit beweist Berlin auch durch die Tat, daß es seine Claire mit dem großen Herzen und der köstlichen Schnauze nicht vergessen hat. Es setzten sich außer dem Kultursenat, dem Deutschen Bühnenverein und der Abgeordneten Jeanette Wolff alle Freunde und ihre vielen treuen Anhänger für sie ein. Mit Ella Vetter, die seit 30 Jahren zu ihr hält, hat sie viele Erinnerungen, so auch diese: “Nach einem ausgedehnten Abend bummelten Frau von Losch - die Mutter von Marlene Dietrich - der Komponist Paul Strasser, Claire Waldoff und Ella Vetter über den Lützowplatz. Er herrschte eine tolle Sommernachtsstimmung. Und es glänzte der Vollmond. Da packte die temperamentvolle Waldoff plötzlich ein ausgelassener Einfall. Mitten auf dem Lützowplatz arrangiert sie mit ihren Freunden einen altmodischen Reigen: Ran an die Dame, wieder weg von ihr... und dann kniete sie nieder und sang ein sehr süßes, sehr lyrisches Lied, das man nie auf der Bühne von ihr hörte. Es war ihr Lieblingslied: “Die weiße Rose”. Diese Sommernacht, die so unbeschwert heiter war, hat Claire nie aus ihrem Gedächtnis verloren. Noch kürzlich schrieb sie in einem Brief: “Ich würde so gerne einmal wieder auf dem Lützowplatz knien”. Handschriftliche Randnotiz: Auf der großen Wiese, plötzlich kniete Claire nieder, betete laut: “Hitler verrecke und vieles mehr”. Ich brachte sie morgens, in die Knie gehend, per Taxi nach Hause. zu: 1953: 22.03.1954 Wenn wir alles wüßten, was wir nicht wissen - März 1954 Seit 12-15 Jahren fahnde ich nach Ihrem Namen - nach Ihrer Anschrift - aber keiner wusste Ihren Aufenthalt. Sie waren nirgends zu finden. Ich kenn Sie und ein Gedicht von Ihnen aus der alten Weltbühne von (Siegfried Jakobson) Carl von Ossietzki, mit dem ich damals befreundet war und mit Kurt Tucholsky. Ich wollte so gerne ihren Text “Alle spielen Blinde Kuh” singen resp. vortragen. Ich traute mich nicht ohne Bestätigung, und Sie waren nicht zu erreichen. So habe ich Ihren Text jahrelang still in mein Herz verschlossen - und plötzlich hat Frau Gerold-Tucholsky (Mary) Ihre Bong’sche Anschrift ausfindig gemacht und daß Sie wieder nach Siam abgereist sind. Natürlich hab ich sofort ihr Siam hinter der Bambuswand gekauft und nun frage ich, ob ich Ihren Text singen darf? Ich habe wie andere Tausende Hab und Gut, meine Madonnea und sämtliche Bücher in den Bombennächten von Berlin verloren und habe in einem kleinen Häuschen in Bayerisch-Gmain an der österreichischen Grenze fünf Autobusminuten von Bad Reichenhall; bin arm geworden wie eine Kirchenmaus, war drei Mal im Krankenhaus wegen Herzkranzgefäßverengungen etc. Herrlich, daß ich Sie endlich gefunden habe nach langem endlosen Suchen. Ich weiß nicht, wo Sie sich mit ihrem Mann jetzt aufhalten. Jedenfalls grüße ich Sie vom ganzen Herzen ihre Claire Waldoff Alice Ekert-Rotholz war nach Asien emigriert, wo sie weiterhin schriftstellerisch tätig war und mehrere Romane und Reisebücher, darunter “Reis aus Silberschalen” und “Siam hinter der Bambuswand” schrieb. Quelle: Volker Kühn, Claire Waldoff, Parthas Berlin 1997 1954 1954 1954 Die Claire ist Berlinerin Wo Claire hinsingt, blüht das Glück Revolverschnauze und Gemüt Wie Blücher geht die Claire ran, 1954 Willi Schaeffers Dein Aus der WAZ 1955 Hier wohnt Claire Waldoff. Der Besucher klinkt eine Gartenpforte auf, schellt und steht Sekunden danach einer alten Dame gegenüber, die er nicht kennt. Kurze rote Haare umrahmen ein blasses Gesicht; im rechten Mundwinkel hängt eine überdimensionale Zigarettenspitze. “Sie wünschen?” Der Besucher will gerade erklären, als im Hintergrund eine Tür geöffnet wird und Claire Waldoff auftritt. Ja, sie tritt auf! Sie trägt Pluderhosen aus grünem Samt, ein spitzenbesetztes Jackett aus demselben Stoff und Pantoffeln. Langsam, den Oberkörper ein wenig zurückgebeugt, so schlurft sie - auf einen Krückstock gestützt - heran. Rot geschminkt ist der Mund, brandrot das Haar, die Augen wirken durch die starken Brillen Gläser unnatürlich groß, “Guten Tag, Claire Waldoff!” “Tag! Komm ‘rein! Los, zieh Deinen Mantel aus. Was willst du, willst du wissen, wie’s geht? Schlecht geht’s mir, Olly... Olly...! Wo steckst du denn?” Die Dame mit der Zigarettenspitze ist plötzlich wieder da. Sie lächelt. Und wieder setzt die laute, knarrende, aufgeregte Stimme ein: “Das ist Olly, meine Freundin Olly. Wir leben schon 35 Jahre zusammen. Sie ist ein Baronesse, verstehst du, Baronesse Olly von Röder. Los Olly, hol’ was zu trinken - oder magst du keinen Schnaps? Natürlich mag er Schnaps...” Der Besucher erlebt diese außergewöhnlichen Wortkaskaden zwischen Wohnküche und Korridor, er kommt nicht zur Antwort. So folgt er der Hausherrin schweigend in den kleinen Raum; bald stehen Gläser auf dem Tisch, eine Flasche Schnaps - immer noch spricht Claire Waldoff, stellt Fragen, die sie sich oft selbst beantwortet - und die Baronesse von Röder raucht, lächelt und schweigt. Das Zimmer ist dunkel und ohne Komfort. Ein paar alte Stühle, ein Tisch und eine Sitzbank, der Spruch “Mensch ärgere dich nicht, es nutzt ja nischt” auf einem Blümchenteller an der Wand und ein verblichener Schrank mit Hausrat - das ist das Mobiliar. “Alte Klamotten”, sagte Claire Waldoff mit umfasssender Handbewegung. “Das da und das Zeug da drüben, das Geschirr und die Schüsseln hat mir mal der Hofrat von Rosenberg geschenkt, damit ich mir meine Bude einrichten konnte”. “So ging es los”, erklärte Claire Waldoff dem Besucher, “und so ging es weiter. Ich wurde eine Berliner Type, bald kannte mich jedes Kind. Die Spießer mochten mich nicht. Aber die armen Leute hatten mich gern, die armen Leute und die “Boheme”. Dort hatte ich meine Freunde Ringelnatz und Augusta von Zitzewitz, Herbert Eulenberg, Kokoschka und Marlene Dietrich. Wir tranken zusammen und mauschelten zusammen, und manchmal war Heinrich Zille dabei: er war mein bester Freund. Mit Heinrich Zille habe ich viel Kognak getrunken, nicht war, Olly?” “Ja, Claire”, sagte die Baronesse, “du hast immer viel Kognak getrunken...” Das alte Grammophon “Schlecht geht’s uns”, sagt Claire Waldoff ruhig, “jawohl, uns geht’s dreckig.” Heute erhält sie von der Stadt Berlin einen festen Ehrensold von 150DM und sonst gar nichts. Hin und wieder werden ihre Platten im Rundfunk gespielt, das sind zusätzliche, relativ geringe Einnahmen. Und warum helfen die alten Freunde nicht? Die alten Freunde sind tot oder leben selbst nur von spärlichen Einkünften. Nur der Marlene Dietrich in Hollywood geht es gut. Unter den 192 Telegrammen, die Claire zu ihrem 70. Geburtstag erhielt, war auch eines der blonden Großmutter. Ein Telegramm mit bezahlter Rückantwort und überschwenglichem Hilfsangebot. Danach schwieg Marlene... “Ob sie nicht wieder auftreten möchte” fragte der Besucher zögernd. “Freilich”, sagt die alte Frau “ich habe nach dem Krieg ja noch ein paar Mal gesungen. In München, Hamburg und 1950 vor 33000 Berlinern in der Waldbühne. Und dann war’s aus. Das Herz machte nicht mehr mit, ich mußte ins Krankenhaus. Aber das Herz ist nicht besser geworden, mein Sohn!” “Mein Sohn”, sagte sie zu dem Besucher, “trink noch einen Schnaps, und dann hör zu. Ich habe noch ein paar Chansons, die niemand kennt. Paß auf, ich singe sie dir vor.” Und Claire Waldoff singt! Sie sitzt auf der zerschlissenen Küchenbank im Weißbach-Häusl und trägt ein wunderbares Chanson vor: “Mein Paulchen ist weg...” und danach ein Volkslied, das Willi Kollo vertonte: “Ich bin und ich weiß nicht wer...” Ihre Stimme ist zart und heiser und manchmal klingt sie ein wenig brüchig: die Stimme ist alt geworden. Bevor der Besucher seinen Mantel anzieht und geht, führt ihn die Baronesse von Röder über eine Holztreppe in einen anderen Raum. Dort steht ein altes Grammophon auf einem Stuhl, sie zieht es auf, legt eine Platte auf, und nun erklingt die Stimme von damals, das dröhnende Organ der “Asphaltpflanze von Berlin”. Die Claire Waldoff ist unten geblieben, das Treppensteigen fällt ihr schwer. Sie sitzt am Küchentisch und blättert Briefe in eine Schachtel, der Besucher kann nicht erkennen, ob sie überhaupt den Refrain versteht, der nun kodderig, frech und unheimlich laut den Raum erfüllt. Einmal sehr laut: “Hermann heeßt er...” und dann leise und verklingend: “Hermann heeßt er... Hermann heeßt er...”. 1950-1957 Claire Waldoff gestorben Bettelarm, fast erblindet und vergessen von der großen Welt ist Claire Waldoff im Alter von 73 Jahren im Krankenhaus von Bad Reichenhall gestorben. “Mein Berlin, da hab’ ick so Sehnsucht nach”, hatte sie noch vor ein paar Tagen gesagt, als sie erfuhr, daß Hildegard Knef - vor ihrer Rückkehr nach Berlin - sie besuchen wollte. Hilde hat es aus zeitlichen Gründen nicht mehr geschafft. Sie wäre auch nur zwei Stunden zu spät gekommen. Claire Waldoff war mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert worden. Sorgen, immer neue Sorgen waren es gewesen, die der einst so gefeierten Kabarettistin nachts den Schlaf raubten. Erst vor wenigen Tagen hatte sie unter dem Aktenzeichen 8084 vom bayerischen Landesentschädigungsamt die Mitteilung erhalten, daß sie keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem “Gesetz über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts” habe. Niemand wollte ihr glauben, daß sie mit ihrem Lied “Hermann heest er” die Gunst der damaligen Machthaber verscherzt hatte. Das Häuschen in Bayerisch-Gmain war mit Hypotheken überlastet. Als Claire in Schulden zu ersticken drohte, setzt ihr die Stadt Berlin zu ihrem 70. Geburtstag einen monatlichen Ehrenscheck von 150 Mark aus. Hinzu kamen 60 Mark Fürsorge. 1957 “Das Leben hat für mich keinen Inhalt mehr” schreibt Olga von Roeder kurz nach Claires Tod verzweifelt an den Freund PEM. “Wir waren durch die vierzig Jahre unseres Zusammensein eben zu innig miteinander verbunden, als dass diese Lücke jemals für mich ausgefüllt werden könnte. Wir lebten eben tatsächlich nur einer für den anderen L...) Ich wäre froh, wenn meine Asche schon bei Claires Asche in Frieden ruhen könnte. |
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320 Seiten mit zahlreichen Abbildungen mit zahlreichen Chansontexten DROSTE VERLAG ISBN 3-7700-1074-4 Bestellung bitte hier! nicht mehr im Handel erhältlich, Restauflage: 14 € Stk. + Versandkosten |